Vereinbarkeit

Was Eltern wirklich brauchen – und Unternehmen leisten müssen

Lisi Molzbichler, Gründerin der Plattform balanceUP, begleitet Unternehmen und Eltern auf dem Weg beim Spagat zwischen Betreuungspflichten und Karriere. Im Interview mit talks at work spricht sie über die Herausforderungen und Chancen moderner Vereinbarkeit, die Rolle der Väter, den Wert echter Wertschätzung und warum Unternehmen jetzt mehr tun müssen als Homeoffice und Gleitzeit anzubieten.

Vereinbarkeit bedeutet für viele Frauen (und Männer mit Betreuungsverantwortung) einen ständigen Spagat: zwischen Beruf und Privatleben, zwischen eigenen Zielen und gesellschaftlichen Erwartungen. „You can have it all – but not at the same time“, zitiert Lisi Molzbichler im Interview Michelle Obama und bringt es damit auf den Punkt: Es geht nicht darum, alles gleichzeitig zu schaffen – sondern bewusst zu entscheiden, was in einer bestimmten Lebensphase Priorität hat.

Diese Klarheit braucht Mut zur Entscheidung – und auch die Fähigkeit, andere Meinungen auszuhalten. Denn noch immer ist das Bild der „Super-Mama“, die alles gleichzeitig meistert, tief verankert. Die Expertin plädiert stattdessen für individuelle Vereinbarkeitsmodelle, die sich am echten Leben orientieren – nicht an idealisierten Rollenbildern.

Die Kehrseite der Flexibilität

Besonders selbstständige Mütter erleben die viel gepriesene Flexibilität oft als Belastung. „Viele tappen in die Falle, ständig alles schaffen sein zu wollen – für Kund:innen, Kinder, Schule und Haushalt.“ Die Folge: Eine unsichtbare Doppelbelastung, die sich kaum als Erfolg anfühlt. Der Tipp der Expertin dazu: fixe Bürozeiten, klare Grenzen und das bewusste Commitment zur eigenen Rolle als Unternehmerin. „Wir müssen uns selbst ernst nehmen – nur dann tun es andere auch.“ Denn auch in der Selbstständigkeit braucht es Rahmen und Routinen, damit Flexibilität nicht zur Erschöpfung führt.

Sichtbarkeit und Selbstwert

Ein weiterer Punkt, den Lisi immer wieder beobachtet: Viele Frauen reden ihre eigene berufliche Rolle klein – insbesondere in der Selbstständigkeit. „Oft höre ich Sätze wie ‚Ich mach da ein bisschen was von zu Hause aus‘ – dabei steckt ein echter Beitrag dahinter.“ Frauen sollten sich trauen, ihre Leistung sichtbar zu machen und mit Selbstbewusstsein zu vertreten, welchen Mehrwert sie schaffen.

Schluss mit dem schlechten Gewissen

Perfektion ist einer der größten Stolpersteine, wenn es um Vereinbarkeit geht. Der Wunsch, allen Rollen gerecht zu werden, führt oft zu ständiger Selbstkritik – und einem tiefsitzenden schlechten Gewissen. „Am Ende machen wir’s sowieso falsch – also können wir’s auch gleich so machen, wie es für uns richtig ist“, sagt Molzbichler augenzwinkernd. Als dreifache Mutter hat Lisi Molzbichler selbst gelernt, das eigene Bauchgefühl wieder zu priorisieren – und den inneren Anspruch auf 100 % in jeder Lebenslage loszulassen. Ihr Plädoyer: Mehr Leichtigkeit, mehr Humor – und ein bisschen mehr Selbstnachsicht im Alltag.

Unternehmen in der Verantwortung

Vereinbarkeit darf nicht länger als „Privatsache der Mütter“ betrachtet werden. Lisi Molzbichler fordert eine ernsthafte Auseinandersetzung in Unternehmen – über alle Hierarchieebenen hinweg. Sie macht deutlich: Es reicht nicht, Gleitzeit und Homeoffice anzubieten. Wirkliche Veränderung entsteht durch gelebte Haltung und durch Maßnahmen, die sich an den Lebensrealitäten der Mitarbeitenden orientieren. Ihr Vorschlag: Ein Baukasten-Prinzip, das Mitarbeitenden ermöglicht, aus verschiedenen Angeboten jene auszuwählen, die in ihre Lebensphase passen – sei es Elternzeit, Pflegeverantwortung oder berufliche Weiterbildung. So wird Vereinbarkeit ein Teil der Unternehmenskultur – und kein Sonderprogramm für „working moms“.

Foto Credit: Iris Amalia
Die Rolle der Väter

Ein Thema, das Lisi besonders am Herzen liegt: die Einbindung der Väter. Denn solange Karenz und Teilzeit primär als „Frauensache“ gelten, bleibt Vereinbarkeit eine einseitige Debatte. Dabei sind es gerade Männer, die durch ihr Verhalten maßgeblich zum Kulturwandel beitragen könnten.

„Wenn Männer in Karenz gehen, hat das enorme Signalwirkung – im Unternehmen und in der Gesellschaft.“ Doch viele trauen sich nicht, diesen Schritt zu gehen – aus Angst vor Karriereknicks oder Stigmatisierung. Hier sind Führungskräfte und Männer generell gefordert, ein anderes Bild von Männlichkeit im Berufsleben zu ermöglichen und aktiv Vorbilder zu fördern.

Wiedereinstieg braucht Beziehungspflege

Ein Drittel aller Frauen kehrt nach der Karenz nicht mehr ins Unternehmen zurück – oft, weil der Kontakt abreißt. Dabei wäre es so einfach, emotional verbunden zu bleiben. Lisi empfiehlt: Einladungen zu Team-Events, persönliche Nachrichten, regelmäßige Updates via Mitarbeiter-App oder ein Buddy-System – all das schafft Nähe, auch wenn der Arbeitsalltag gerade pausiert. Zudem plädiert sie für gezielte Wiedereinstiegsprogramme – individuell, klar kommuniziert und professionell begleitet. Denn: Menschen verändern sich in der Karenz – aber Unternehmen auch. Nur im Dialog kann ein echter Neustart gelingen.

Netzwerke schaffen Sichtbarkeit

Lisi Molzbichler ist überzeugt: Frauen profitieren von Netzwerken – sowohl in der Selbstständigkeit als auch im Angestelltenverhältnis. Aus diesem Grund bietet Lisi Molzbichler mit balanceUP bietet genau das: Austausch auf Augenhöhe, praxisnahe Inspiration und Formate wie das Vereinbarkeits-Barcamp, bei dem Führungskräfte, HR-Verantwortliche und Unternehmer:innen offen über Vereinbarkeitsmodelle sprechen. Ihr abschließender Rat an alle, die sich im Spagat zwischen Familie und Beruf befinden: „Take it easy. Man darf sich das Leben auch leicht machen – und es darf leicht gehen.“

Mehr erfahren?

Lisi Molzbichler und ihre Projekte findest du auf LinkedIn oder unter www.balance-up.at.
Wer tiefer ins Thema Vereinbarkeit eintauchen und gemeinsam mit anderen Lösungsansätze erarbeiten möchte, ist beim Vereinbarkeits-Barcamp bestens aufgehoben. Die Veranstaltung bringt HR-Verantwortliche, Führungskräfte und Unternehmer:innen zusammen, um sich in einem offenen Format auf Augenhöhe auszutauschen – viel Praxisnähe und Co-Kreation.

📍 Die nächsten Termine:

  1. Mai 2025 in Wien
  2. Oktober 2025 in Salzburg

Dieser Artikel wurde verfasst von:

Portrait von Margit Wickhoff

Margit Wickhoff
Head of Content bei talksatwork

Teilen