Ankommen statt Abspringen

Lehrlings-Onboarding mit Wirkung

Jede:r dritte Lehrling überlegt schon in den ersten Monaten, den Betrieb zu verlassen. Ein durchdachtes Onboarding kann das ändern und sorgt dafür, dass Talente bleiben, wachsen und gern zur Arbeit kommen. „Talks at work“-Gastautorin Vivien Schulter zeigt in diesem Artikel, wie Unternehmen vom ersten Tag an Verbindung, Klarheit und Motivation im Lehrlingsonboarding aufbauen.

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Warum Lehrlings-Onboarding heute Chefsache ist

Viele Lehrlinge starten hochmotiviert in ihre Ausbildung und verlieren diesen Schwung schneller, als Betriebe denken. Laut einer Glassdoor-Analyse kündigen 40 % neue Mitarbeitende aufgrund mangelhafter Einarbeitung. Bei Lehrlingen wiegt das besonders schwer: Sie sind meist zum ersten Mal im Berufsleben, suchen Orientierung und wollen spüren, dass sie willkommen sind.

Für mich als Kulturwandlerin ist Onboarding nicht nur ein Prozess, sondern ein Versprechen: Du bist hier richtig, wir investieren in dich. Dieses Versprechen ist der Grundstein für Loyalität, Motivation und Wachstum.

Preboarding: Verbindung beginnt vor dem ersten Arbeitstag

Zwischen Zusage und Start liegt eine entscheidende Phase – und genau hier springen viele junge Talente wieder ab.
So setzt du wertvolle Impulse:

  • Persönliche Willkommensbotschaft – per Postkarte, E-Mail oder Videobotschaft.
  • Vorstellung des Teams – Gesichter und Rollen vorab teilen (Zavvy-Studie: Menschen fühlen sich nachweislich wohler, wenn sie vor dem ersten Tag ihr Team kennen).
  • Einblicke in Kultur & Werte – nicht nur „was wir tun“, sondern „wie wir hier miteinander arbeiten“.

Mein Tipp: Frage den Lehrling schon vor dem Start, welche Ziele er oder sie mit der Ausbildung verbindet. Das schafft eine persönliche Brücke und zeigt echtes Interesse.

Der erste Tag: Struktur trifft Herzlichkeit

Der erste Tag ist ein Beziehungstag – kein Bürokratie-Tag. Laut HCI (Human Capital Institute) fühlen sich 72 % der Mitarbeitenden besser integriert, wenn sie am ersten Tag ein 1:1-Gespräch mit ihrer Führungskraft haben.
Was wirkt:

  • Klarer Ablaufplan für den Tag
  • Onboarding-Buddy oder Mentor
  • Gemeinsames Mittagessen mit Ausbildner:in und Team
  • Offene Erklärung von Pausen, ungeschriebenen Regeln und Ansprechpersonen
Die erste Woche: Orientierung und erste Verantwortung

Ich erlebe in meinen Coachings immer wieder: Lehrlinge wollen von Anfang an verstehen, wo sie stehen – und wofür sie gebraucht werden.

Mein Praxis-Plan für Woche 1:

  1. Betriebsrundgang mit Blick hinter die Kulissen
  2. Einführung in Sicherheitsstandards und betriebliche Werte
  3. Erste kleine Verantwortungsbereiche übertragen
  4. Feedback zu Fortschritten, nicht nur zu Fehlern
Feedback als Bindungsbooster

Regelmäßige Reflexion ist kein Luxus, sondern Bindungsarbeit.

  • Nach 1 Monat: Erstes beidseitiges Feedback – was läuft gut, was braucht’s?
  • Nach 3 Monaten: Probemonatsgespräch nutzen, um Erfolge sichtbar zu machen.
  • Nach 6 Monaten: Die ersten 100 Tage entscheiden laut HCI über nachhaltige Integration – prüfe hier gemeinsam den Weg und nächste Entwicklungsschritte.
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Kulturelles Onboarding: Mehr als Fachwissen

Onboarding ist auch Kulturvermittlung. Und Kultur ist das, was bleibt, wenn der Plan aus der Hand fällt.

  • Werte leben: Lehrlinge sollen sehen, dass Werte nicht nur an der Wand hängen.
  • Teamrolle stärken: Früh einbinden, auch in interne Events oder kleine Projekte.
  • Empathie zeigen: 92 % der Mitarbeitenden sehen Empathie als entscheidend für Bindung (HCI).
Halten statt hoffen

Lehrlings-Onboarding ist kein Zusatz, sondern die Basis für erfolgreiche Fachkräfteentwicklung. Wer vom ersten Kontakt an auf Beziehung, Klarheit und Wertschätzung setzt, gewinnt – und spart sich die Kosten und den Frust von Fluktuation.

Kleine Schritte reichen, um Großes zu bewirken: Ein echtes Willkommen, ein klarer Fahrplan, und das ehrliche Interesse an jungen Menschen sind oft der Unterschied zwischen Ankommen und Abspringen.

Gleichzeitig gilt: Jede Generation bringt ihre eigenen Stärken, Erwartungen und Kommunikationsstile mit. Was für uns früher selbstverständlich war, muss heute neu verhandelt werden – offen, neugierig und ohne Vorurteile. Wer bereit ist, hinzusehen und zuzuhören, baut Brücken zwischen Erfahrung und frischer Perspektive.

Reflexionsfragen für dich:

  • Wann hast du zuletzt bewusst gefragt, wie sich deine Lehrlinge im Betrieb fühlen?
  • Welche kleinen Gesten könnten ihren Start leichter und mutiger machen?
  • Wo hält dich Routine davon ab, Neues im Onboarding auszuprobieren?

Onboarding ist eine Einladung, gemeinsam zu wachsen – als Betrieb, als Team und als Mensch. Wer diesen Weg gehen will, braucht manchmal nur den ersten Impuls.

Autorin:

Vivien Schulter begleitet als Kulturwandlerin Betriebe, die mehr wollen als reibungslose Abläufe. Als Unternehmensberaterin und Lehrbetriebscoach entwickelt sie mit Führungskräften und Teams klare Onboarding-Strukturen, generationenverbindende Zusammenarbeit und eine Arbeitskultur, in der Menschen bleiben, wachsen und gerne arbeiten.

Quellen:

  • Glassdoor: The True Cost of a Bad Hire
  • Human Capital Institute (2018): Talent Pulse – Priorities
  • Zavvy.io: Strategie zur Mitarbeiterbindung

Dieser Artikel wurde verfasst von:

Vivien Schulter
Kulturwandlerin | Unternehmensberaterin | Lehrbetriebscoach

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